Chris Koever, 03.01.05
Ein Email-Interview mit Tilman Baumgärtel, 3.12.2004.
Vor gut zehn Jahren war Netzkunst neu, radikal und aufregend. Sie wurde als Genre der Zukunft gepriesen und als die angemessene Form, auf eine zunehmend vernetze Welt künstlerisch zu reagieren. Doch seit Ende der 90er ist von solchen Einschätzungen kaum noch etwas zu hören. Abwechselnd war von einer Krise oder gar dem "Tod" der Netzkunst die Rede....
Tilman Baumgärtel, Medienwissenschaftler, freier Autor und Mitarbeiter des Internetmagazins "Telepolis" war damals nicht nur einer der ersten, sondern fast der Einzige, der über das Thema schrieb. Mit zahlreichen Interviews und der Publikation "net.art. Materialien zur Netzkunst" sowie dem Nachfolgeband "net.art 2.0" dokumentierte er nicht nur die damalige Entstehung der netzspezifischen Kunst, sondern trug auch maßgeblich zur Herausbildung und Definition des Genres "Netzkunst" bei. Seine Rolle als Chronist und Kritiker einer noch nicht abgeschlossenen historischen Entwicklung, der das, worüber er schreibt, im Grunde selbst definiert (was er selber immer wieder anmerkte), ist kontrovers. Seine Verdienste um die Dokumentation und die Diskursbildung der Netzkunst sind aber unumstritten.
Seit einigen Jahren ist es ruhig geworden um die Netzkunst, und auch Baumgärtels letzte Zustandsanalysen liegen eine Weile zurück (net.art 2.0 erschien 2001). Umso interessanter zu hören, was er aus heutiger Sicht rückblickend über den derzeitigen Stand und die Ursachen der "Krise" zu sagen hat...
Tilman Baumgärtel: Im Augenblick ist tatsächlich ein Mangel an guten, neuen net.art-Arbeiten zu beobachten. Darüber wundern sich alle, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Viele Künstler aus dem Bereich der Medien- und Netzkunst konzentrieren sich inzwischen auf die Arbeit mit Software und Computerspielen. Das ist auch nicht falsch, denn es setzt den Ansatz der Netzkunst fort, mit den Mitteln des Mediums über das Medium nachzudenken. Gleichzeitig ist es aber auch ein Rückschritt, weil diese Arbeiten meist doch wieder in sich abgeschlossene, fertig konsumierbare Werke sind. Die Netzkunst ist da immer radikaler gewesen. Sie lässt sich nicht nur auf die Unwägbarkeiten und Risiken der nach wie vor störungsanfälligen und teilweise unkontrollierbaren Internet-Technologie ein, sie muss für die verschiedensten Browser-Typen mit den verschiedensten Plug-Ins "interpretierbar" sein, kann z.T. durch ihre User nachhaltig verändert werden, Links gehen nicht mehr etc.
Sie kann auch nicht auf Diskette oder CD verkauft werden, obwohl das ja ein paar Mal versucht worden ist. Ich will keinem Künstlern unterstellen, dass er mit Software oder Games arbeitet, weil er glaubt, damit ein verkäufliches Kunstwerk zu schaffen, und ich würde auch niemandem den Versuch verübeln. Ich will auch nicht sagen, dass unverkäufliche Kunst wie die Netzkunst per se einen höheren künstlerischen Wert hat als "warenförmige" Kunst. Aber dass sich die Netzkunst nicht im Kunstbetrieb durchsetzen kann, liegt ganz sicher zum Teil daran, dass Galerien und Kunsthandel daran überhaupt kein Interesse haben. Und dass die öffentlich geförderten Museen heute viel stärker als in den 70er Jahren Erfüllungsgehilfen von Kunstmarkt und Sammlerinteressen sind.
Dass die Videokunst nach ihrer ersten Blüte Ende der 60er Jahre die nächsten zehn Flautenjahre überlebt hat, lag zum großen Teil an einigen, wenigen Museumsleuten, die immer wieder Video gezeigt haben. Und die vor allem, was viel wichtiger ist, Videoarbeiten in größere Gruppenausstellungen einbezogen haben. Das waren namentlich Wulf Herzogenrath und John Hanhardt. Das zwang den Kunstbetrieb, solche Künstler zur Kenntnis zu nehmen. Ich will damit nicht die Bedeutung von Independents wie Gerry Schumm mindern, ohne die es ja viele der besten frühen Videoarbeiten gar nicht geben würde. Aber die Museumskuratoren hatten ganz andere Ressourcen, um an dem Projekt Videokunst längerfristig zu arbeiten. Und vor allem konnten sie Videokunst als Teil größerer künstlerischer Zusammenhänge zeigen. So eine Lobby hat die Netz- und sonstige Computerkunst heute leider nicht mehr.
Für die Netzkunst standen als erste Adresse Festivals wie ars electronica und Transmediale bereit. Diese Festivals sind zwar theoretisch eine gute Sache, aber sie entbinden eben auch den "normalen" Kunstbetrieb von der Verpflichtung, sich mit den Sachen, die da gezeigt werden, beschäftigen zu müssen. Ich will gar nicht sagen, dass das höchste Ziel jeder Kunst sein muss, vom normalen Kunstbetrieb zur Kenntnis genommen zu werden. Aber die Krise der Netzkunst zeigt für meinen Begriff, dass es für meisten Künstler auf die Dauer nicht befriedigend ist, nur für Festivals und eine verschworene Szene zu produzieren. Von ökonomischen Fragen mal ganz abgesehen.
Und man darf natürlich nicht vergessen, dass diese erste Blütezeit der Netzkunst auch die Zeit des Internet-Hypes war. Das war spätestens mit dem Platzen der New-Economy-Blase vorbei. Kunst ist auch von solchen Phänomenen abhängig, besonders sowas wie Netzkunst, weil die zum Teil ja genau diese Dinge thematisiert hat.
Nach wie vor gibt es bei den meisten Biennalen und sonstigen Kunstspektakeln im Regelfall keine Netz- oder Software-Kunst, Ausnahmen bestätigen diese Regel. Dass die Beispiele, die du nennst, so präsent sind, liegt auch daran, dass es nicht mehr gab. Die Whitney-Biennale ist in der Tat eine interessante Ausnahme, weil die solche Sachen irgendwie auf einer Liste der zu bedienenden Genres zu haben scheint. Oder die Kuratoren sind offener. Ich sehe es aber nicht als Selbstzweck an, Netzkunst zu zeigen. Wenn es keine interessanten Arbeiten gibt, muss man auch nichts zeigen. Das Problem ist, dass die traditionelle Kunstszene und die Medienkunstszene nicht miteinander kommunizieren. Dabei könnte das fruchtbar für beide Seiten sein - gerade auch für die Medienkunstszene, die es sich auch gerne bequem macht und der Impulse von außen nie schaden können.
Was diese ewige Aus-Dem-Kunstbetrieb-ausbrechen-Debatte betrifft: Die interessiert wirklich nur Leute aus dem Kunstbetrieb. Mich langweilt diese Nabelschau inzwischen zu Tode. Ich weiß nicht, warum bei der Netzkunst ununterbrochen nur auf diesem einen Thema herumgeritten wird. Ich habe das zwar bei den Interviews immer brav mitgeschrieben, aber es gibt wirklich Interessanteres an der Netzkunst. Die Opposition zum Kunstbetrieb ist ein Dauerthema der Moderne seit den Impressionisten. Gerade in den 90er Jahren war die "Institutional Critique" DAS Thema der Kunstwelt. Ich verstehe also nicht, warum ausgerechnet eine Kunstrichtung, die tatsächlich zunächst mal über ein eigenes Distributionssystem verfügt, diese Tatsache nicht thematisieren soll. Lies mal das Gästebuch von Kriesches "Telematic Sculpture" oder den "Worlds Longest Sentence" von Douglas Davis. Da kann man schon verstehen, woher diese Euphorie darüber kam, dass man direkt mit seinem Publikum kommunizieren kann.
Es stimmt einfach nicht, dass die Netzkunst sich dezidiert von der Kunstwelt abgesondert hat. Heath Bunting, Jodi, Alexei Shulgin etc haben sich alle an ganz normalen Ausstellungen beteiligt - auch wenn sie immer zu Recht darauf hingewiesen haben, dass für sie die Darstellungsmethoden einer konventionellen Ausstellung eigentlich nicht funktionieren. Mitte der 90er Jahre waren das Internet als Medium noch so neu, dass die meisten Leute - auch die Kuratoren - die spezifischen Pointen vieler Arbeiten gar nicht verstanden haben, weil sie noch mit der Technik gerungen haben. Browser Art kapiert man halt nur, wenn man weiß, was ein Browser ist und worin seine Einschränkungen bestehen. Das Verständnis wäre inzwischen vielleicht da. Aber jetzt sind solche formalistischen Arbeiten nicht mehr aktuell.
Dann gab es diese ganzen praktischen Probleme: Wie zeigt man diese Arbeiten? Wie verhindert man, dass die Leute von den Terminals ihre Emails abrufen oder die Mouse klauen? Woher bekommt man überhaupt die Computer oder den Internetzugang in der Ausstellungshalle etc. Die Ausstellungen, die ich gemacht habe, waren immer der Versuch, andere Ausstellungsmethoden für solche Arbeiten zu entwickeln. Dass man in den solchen Institutionen präsent ist, finde ich nämlich auch wichtig. Aber das ist nach wie vor schwierig, denn viele Arbeiten brauchen den physischen Raum für ihre Präsentation schlicht und einfach nicht.
Isabelle Graw wusste ganz genau, dass die "Institutional Critique" DAS Thema der 90er Jahre war und dass viele Leute, die heute etablierte Künstler sind, diese Zeit damit verbracht haben, in ungeheizten "selbstorganisierten Räumen" herum zu sitzen und über den Kunstbetrieb zu lästern. Aus diesem Impuls heraus sind auch viele frühe Netzprojekte entstanden, zum Beispiel The Thing. Gleichzeitig waren diese selbstorganisierten Webserver aber auch ganz pragmatische Versuche, sich die Infrastruktur und den Kontext zu schaffen, die es damals schlicht noch nicht gab. Dadurch hatte sich das schnell von dieser Kritik am Kunstbetrieb auf ein anderes Gleis verlagert. Den Netzkünstlern hat sicher ein gewisser Kunst-Betriebsstallgeruch gefehlt. Das hat sie suspekt gemacht, und das meinte ich in dem Artikel von Isabelle Graw gespürt zu haben.
Ich glaube nicht, dass man sich qua Medium aus der Kunstwelt entfernen kann. Höchstens aus dem, was "Texte zur Kunst" unter der Kunstwelt versteht. Das ist aber nicht die einzige Kunstwelt. Dass diese Version der Kunstwelt als absolut und unhintergehbar dargestellt wurde, hat mich begreiflicherweise geärgert. Schließlich hatten wir zu dieser Zeit schon eine eigene Debatte und eine eigene Szene. Es ist auf jeden Fall immer verdächtig, wenn man Leuten in so einer Form das Recht abspricht, Künstler zu sein. Da geht es in der Regel um den Erhalt von Definitionsmacht. In "Texte zur Kunst" hat es danach noch eine lange Rezension meines ersten Netzkunst-Buchs gegeben, die differenzierter argumentierte und die ich interessant fand.
Das ist eine total hypothetische Frage. Und ich bin ein schlechter Taktiker... ;-)
Diese drei Artikelchen waren aber weiß Gott nicht die gesamte Debatte in diesem Bereich. Die war on-going, es waren viele Leute daran beteiligt, und es hat auch wesentlich differenziertere Auseinandersetzungen gegeben. Wenn ich etwas organisiere, sehe ich immer zu, dass da auch Leute aus der "richtigen Kunstwelt" dabei sind, damit es nicht zu gemütlich wird. Akzeptanz schafft man wahrscheinlich nicht dadurch, dass man dort antichambriert, wo eh schon polarisiert wird, sondern indem man an anderen und ganz verschiedenen Stellen weitermacht. Aber wie gesagt - ich bin kein guter Taktiker. Polemik hat manchmal schon ihre Berechtigung. Solche Feuilleton-Debatten haben aber immer auch etwas aufgeregtes und zweifelhaftes - besonders wenn sie nachher als DIE Materialisierung einer längerfristigen Diskussion gelesen werden. Isabelle Graw habe ich übrigens neulich in einer Ausstellung mit Malerei der Gruppe Spur mal persönlich kennen gelernt, und da waren wir beide sehr nett zueinander. :-)
Um aber mal diese ganzen alten Hüte ad acta zu legen: Ich glaube nicht, dass man auf die Dauer Arbeiten ignorieren wird, die sich in praxi mit den Realitäten einer vernetzten und mediatisierten Welt auseinander setzen. Dass das mit den herkömmlichen Methoden "kritischer" Kunst nicht mehr richtig geht, steht schon in Frederic Jamesons Postmoderne-Aufsatz. Die Netzkunst hat seine Forderungen von damals eigentlich mustergültig erfüllt. Es ist bloß nicht so vielen Leuten aufgefallen. Kann passieren.
Aber die alte Garde ist ja immer noch aktiv: Heath Bunting hatte gerade im New Museum in New York eine Einzelausstellung, Jodi machen eine neue Arbeit nach der anderen, Alexei Shulgin hat wimp.ru. Und es gibt immer noch interessante neue Arbeiten, zum Beispiel Christoph Brunos "Google Adwords Happening" oder "Der Reisende" oder die Yesmen. Die letzteren haben es übrigens geschafft, mit ihrem Film ein ganzes anderes Publikum zu finden als es ihnen die Galerien und Museen geboten hätten. Hoffentlich regt sich darüber jetzt keiner auf. Oder ist so philisterhaft zu behaupten, dass deren Arbeit dann aber keine Kunst mehr sein darf...
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