Rezeption, Kommunikation, Interaktion. Konzepte der Klanginstallation

Rolf Großmann, 03.12.03

Wenn nach Rudolf Arnheim als 'Mutter der Hörkunst' das Medium Radio gilt und ihre Bezugspunkte das "innere Ohr" und der dislozierte Raum der elektromagnetischen Wellen sind, scheint die an den konkreten Raum und den dort inszenierten Klang gebundene Klanginstallation ein Gegenpol zur Hörkunst zu sein. Die Gemeinsamkeiten aus der Sicht der Klanginstallation[1] erschließen sich jedoch auf den zweiten Blick recht schnell: Auch hier spielt der imaginierte Raum eine entscheidende Rolle (s.u.), elektronische Medien dienen in den meisten Klanginstallationen zur Produktion, Reproduktion und Rauminszenierung der Klänge und, natürlich, befindet sich auch der Lautsprecher des Radioempfängers in einem realen Raum und produziert physische Schallwellen. So gesehen, können radiophone Hörkunst und Klanginstallation in mindestens zweierlei Bereichen voneinander lernen: aus den ästhetischen Konzepten ihrer unterschiedlichen Räume und der Verwandtschaft ihrer medientechnischen und -ästhetischen Grundlagen.

Es geht im folgenden um eine besondere Perspektive auf Klanginstallationen, die versucht, diesen beiden Bereichen Rechnung zu tragen: Nicht das vom Künstler vielleicht imaginierte 'Werk' steht im Zentrum, sondern Konzepte von Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten in klanglich 'installierten' Räumen. Die im Titel des Beitrags genannten Stichworte sollen dabei weniger eine Typologie von Wirkungen oder ähnliches begründen als vielmehr als Eckpfeiler eines Feldes verstanden werden, in dem sich Klanginstallationen beobachten lassen. Besondere Aufmerksamkeit erhalten die Optionen elektronischer Klangerzeugung und -reproduktion, also Gestaltungsspielräume von Medientechniken, die sich hier zu Standardwerkzeugen künstlerischer Konzeption entwickelt haben.

Die Beziehung von Klang und Raum ist der elementarste Bezugspunkt für Klanginstallationen. Sie sind an einen Ort, einer Position im Raum 'installiert', ihm ausgeliefert, während sie ihn mitgestalten, formen. Dass es jedoch um weit mehr als den physischen, realen Raum geht, zeigt ein Beispiel von Marcel Duchamp, dem Meister der Inszenierung von Gegenständen und Situationen, das direkt auf Erwartungen und Wahrnehmungsstrategien zielt: Ein handelsübliches Bindfaden-Knäuel wird durch durch zwei Messingplatten zusammengepresst, die durch Schrauben fixiert sind. "A bruit secret" nennt Duchamp dieses 'nachgeholfene' ready-made von 1916, das nicht einmal in den Verdacht gerät, eine Klanginstallation zu sein. Dennoch inszeniert es visuell und "in der Weise eines geheimen Geräuschs" klanglich einen Raum, den kleinen zylindrischen Hohlraum in der Mitte des Knäuels. Dort wurde von einer anderen Person (dem Sammler Walter Arensberg) ein auch Duchamp selbst unbekannter Gegenstand eingebracht, der nun beim Schütteln des Objekts durch Geräusche seine Anwesenheit verrät. Ein Klangobjekt also, ein Percussionsinstrument könnte man meinen, dessen Fokus jedoch gerade nicht auf der Klangerzeugung liegt, sondern auf dem Geheimnis eines Raums, der unzugänglich bleibt. Die einzige klangliche Funktion des Objekts ist der Verweis auf dieses Geheimnis, ist die Mystifizierung der geheimen Optionen dieses Raums. Mit diesem kleinen Trick verlagert Duchamp den realen Raum in den Raum der Imagination des Rezipienten.

"A bruit secret", Marcel Duchamp

Bild 1: "A bruit secret", Marcel Duchamp

Ein anderes Werk Duchamps, ebenfalls aus der Zeit kurz nach der Jahrhundertwende ins 20. Jahrhundert, ist die "Sculpture musicale". Ein konzeptionelles Werk, das lediglich aus einer Anweisung besteht: "sons durant et partant de differents points et formant une sculpture sonore qui dure" (Klänge, die anhalten und von verschiedenen Punkten ausgehen und eine Klangskulptur bilden, die andauert). Das skulpturale Element entsteht hier durch das Beständige der Klänge, geformt in seiner Gestalt durch ihre Mischung und räumliche Ordnung. Eine Installation des Klangs in den Raum also und in dieser Kürze eine treffende prototypische Beschreibung des Begriffs 'Klanginstallation'. Sehr nahe an Duchamps Anweisung kommen einige der Kompositionen La Monte Youngs. Sein "Dreamhouse" (zusammen mit Marian Zazeela 1962/64) füllt den Raum mit 'stehenden' Wellen, die einen für die Wahrnehmung neuen, nun akustisch durch Wellenknoten definierten Raum entstehen lassen. Gleichzeitig appellieren Titel und Aufführung des "Dreamhouse" an Räume jenseits des Realen.

Betrachten wir noch einmal beide Werke Duchamps, so haben wir zwei Typen der Verschränkung von Klang und Raum. Das Geheimnis des Fadenknäuels verweist durch den Kunstgriff der Verweigerung direkt auf den imaginären Raum, den Raum der Vorstellung und der Möglichkeiten, während die "Sculpture musicale" bzw. "Dreamhouse" den realen Raum transformiert, ihn neu erlebbar macht und so imaginäre Welten erschließt. Zum realen und imaginären Raum kommt heute ein technischer Raum, von dem Duchamp kaum etwas wissen konnte, der virtuelle Raum der medialen Simulationen und Datenmodelle. Doch davon später, zunächst noch einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema 'Klanginstallationen'.

Sie gehören zu den Standardphänomenen der Grenzüberschreitung zwischen Bildender Kunst und Musik, in unzähligen Ausstellungen und wissenschaftlichen Beiträgen wird dieser Aspekt thematisiert. In einer historischen Situation, in der Kunst und Musik selbst Auflösungserscheinungen zeigen, haben sie sich der ehemals drängenden Fragen nach Kunstcharakter und -zugehörigkeit entledigt. "Räume, in denen temporale Qualitäten erfahren werden, und Raum-Zeit als fließende Zuständlichkeit eignen sich nicht mehr im Sinne der klassizistischen Ästhetik zur Definition von je unterschiedlichen Kunstgattungen. Die Künste lassen sich sich teilweise nur als Kunst verstehen."[2] folgert Helga de la Motte-Haber und nennt zuvor die Hauptaspekte des geistesgeschichtlichen und – verkürzt gesagt – wahrnehmungsphilosophischen Diskurses um Klang und Raum.

Dauertoninstallationen wie "Dreamhouse" verdeutlichen diese Aspekte in einer Extremposition. Die Schwingungen der Klänge, physikalisch beschrieben durch Amplitude und Zeit erhalten dort eine bildnerische Qualität durch ihre Statik und Raumordnung. Sie 'verzeitlichen' den Raum, ohne Musik im klassischen Sinn zu werden, welche eine sich entwickelnde musikalische Zeit voraussetzen würde.

Naturgemäß sieht die Bildende Kunst durch das Zeitphänomen 'Klang' eher eine 'Verzeitlichung des Raums', also eine Erweiterung im Realen um die für sie normalerweise ins Imaginäre verbannte Dynamik von Bewegung, Entwicklung etc.. Die Musik dagegen erfährt in der Relativierung der zielgerichteten musikalischen Zeit durch die Statik des Raums eine 'Verräumlichung der Zeit', eine alte und wieder neue Qualität von Musik, die in der Phase der Prinzipien der sich entwickelnden Variation von Melodik und Harmonik des 18. und 19. Jahrhunderts verlorengegangen schien.[3]

Beide Aspekte sind, auch von der Rezipientenseite aus gesehen, Anknüpfungspunkte für konventionalisierte Wahrnehmungsstrategien und Handlungskonzepte in Klanginstallationen. Raumorientierte Konzepte wie Bewegung, Orientierung, Exploration und zeitorientierte Konzepte statischer Beobachtung, Konzentration auf Verläufe, Prozesse, Entwicklungen können sich durchdringen und werden von der ästhetischen Konzeption und dem Rezeptionsszenario einer Installation vorstrukturiert.

"Silent Music" (1994/95), Robin Minard

Bild 2: "Silent Music" (1994/95), Robin Minard

Elektronische Klangerzeugung und -reproduktion ändert zwar wenig an den Grundparametern der Relation von Klang und Raum, dennoch werden für Entwurf und Gestaltung von Installationen bis hin zur (inter)aktiven Beteiligung des Rezipienten wesentliche neue Optionen eröffnet. Der erste Schritt ist hier die räumliche Disponibilität von punktförmigen Schallquellen. Lautsprecher können beliebig plaziert, bewegt, arrangiert werden. Nicht nur Klangbewegungen und Effekte (s.u.) sind damit gestaltbar, sondern auch das Medium selbst. So entwirft etwa Robin Minard seine Installationen gleichermaßen visuell wie klanglich, intermediale Bezüge sind die Regel. Hinzu kommt Sensorik, die das System an Umgebungsparameter ankoppelt. Medien 'belauschen' ihre räumlichen, technischen und natürlichen Umgebungen und erschließen der ästhetischen Konzeption neue, zunächst nicht oder anders wahrgenommene Aspekte der physikalischen Umgebung. Im Kontext seines "Environmental Sound Diffusion System" (ab 1984) spricht Minard von akustischer "Raum-Kolorierung"[4], es finden sich pflanzenhaft wuchernde Lautsprecherarrangements, deren Klänge – analog zu den Bedingungen pflanzlichen Wachstums – durch Außentemperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht gesteuert werden (z.B. in "Weather Station", 1995). Der Besucher findet sich in einer Ausstellungssituation, die das Visuelle wie das Klangliche in einer primär räumlichen Dimension präsentiert.

"AZUR", Christina Kubisch

Bild 3: "AZUR", Christina Kubisch

Ähnliches, mit anderen Mitteln, geschieht im Außenbereich etwa bei der permanenten Installation "AZUR" (1993) von Christina Kubisch in der niedersächsischen Heidelandschaft bei Neuenkirchen. Hier definieren Masten mit Solarpanels den Bereich der Installation, die Realität der vorhandenen Umgebung wird um eine klangliche Ebene erweitert, die dem natürlichen Rhythmus von Licht und Schatten, von Tag und Nacht folgt. Auch hier entsteht eine Ausstellungssituation, ein Stück Waldrand wird durch Gegenstände und Klänge zum Kunstraum, auf den Wahrnehmung und räumliche Orientierung fokussiert wird. Ein weiteres Beispiel wäre Tilman Küntzels Installation "Neophone Rauminszenierung" in der Städtischen Galerie Bremen (2001), die zum Erlanger Hörkunstfestival variiert wurde.[5] Die Startvorgänge von Leuchtröhren werden manipuliert, ihre Geräusche über Verstärkereinheiten medial 'vergrößert' und im Raum inszeniert.

Die Bewegung des Klangs im Raum und damit eine neue Ebene der Verzeitlichung bringt die Möglichkeit der elektronischen Klangerzeugung in Verbindung mit der Mehrkanalwiedergabe. Beides ist seit den 50er Jahren Inspirationsquelle für Utopien, Theorien und kompositorische Praxis. Die technische Kontrolle über vormals abhängige Parameter im Raum- und im Zeitkontext bot nun neue, vorher kaum vorstellbare Möglichkeiten. Die "Dauern", um den Jargon der frühen elektronischen Musik zu benutzen, wurden genauso komponierbar wie die Topologie der Klänge in Mehrkanalumgebungen. Elektronische Klangerzeuger und Medien werden zu 'Rauminstrumenten', die dazu dienen, ein musikalisches 'Raumwerk' im realen Raum aufzuführen.

Lautsprecheranordnung für "Spiral", Karlheinz Stockhausen

Bild 4: Lautsprecheranordnung für "Spiral", Karlheinz Stockhausen

Lautsprecheranordnung für "Tunnel Spiral", Karlheinz Stockhausen

Bild 5: Lautsprecheranordnung für "Tunnel Spiral", Karlheinz Stockhausen

Eines der spektakulärsten historischen Beispiele für eine entsprechende Aufführungspraxis ist die Beschallung des Kugelauditoriums in Osaka zur EXPO 1970, aufgeführt wurde dort u.a. "Spiral" (1968) von Karlheinz Stockhausen, das auch in einer quaderförmigen Raumkonzeption "Tunnel Spiral" für einen Flur (Los Angeles 1969) existiert. Dazu sind technische Vorrichtungen nötig, wie damals die "Rotationsmühle" Stockhausens, die das Audiosignal per Handkurbel auf die einzelnen Kanäle verteilt: "... die Mühle hatte zehn elektrische Ausgänge, die man mit beliebigen 10 der 50 Lautsprecherkanäle verbinden konnte, und wenn man mit der Hand den Steuerhebel wie eine Kaffeemühle links oder rechts herum drehte, bewegte sich der Klang entsprechend im Raum."[6]

Nach einer Zwischenstufe der Entwicklung spezieller hybrider Hardware-Systeme mit Computersteuerung (etwa durch Bernhard Leitner oder Sabine Schäfer) stehen heute mit "MAX" oder "Reaktor" Software-Umgebungen zur Verfügung, die eine Mehrkanal-Signalsteuerung nach Raumparametern komfortabel ermöglichen.

"Klangzelt" aus der Projektreihe "Sonic Rooms", Sabine Schäfer u. Joachim Krebs

Bild 6: "Klangzelt" aus der Projektreihe "Sonic Rooms", Sabine Schäfer u. Joachim Krebs

Raumklang-Installationen mit solchen Systemen schaffen eine rezeptive Umgebung, in der zeitliche Aspekte eine wesentliche Rolle spielen. Der Raumaspekt des Klangs wird wieder beweglich und – ganz im Sinne der "Vier Kriterien der elektronischen Musik" Stockhausens[7] – zum zeitfähigen musikalischen Parameter. Das Resultat für den Rezipienten ist eine 'konzertante' Form der Installation, der reale Raum dient primär zur konkreten Realisierung einer musikalischen Werkform. Jüngere Beispiele sind die "TopoPhonien" Sabine Schäfers, in denen die Typen der Raumklanginszenierung und damit die Rezeptionssituationen entsprechend mitgedacht sind. Unterschieden werden sie im Untertitel des jeweiligen Werks, etwa als "begehbare" vs. "konzertante Raumklanginstallation" (TopoPhonie Nr. 3, 1996 vs. TopoPhonie Nr. 4, 1997). Ihre Projektreihe "SonicRooms" (s. Bild 5; mit Joachim Krebs, seit 1997) sucht darüberhinaus die Auseinandersetzung mit eigens entworfenen künstlichen, gedämpften Räumen, in denen der reale Raum durch eine Zeltkonstruktion auditiv 'neutralisiert' wird. Sabine Schäfer möchte dort "den physikalischen Außenraum mitsamt seiner Effektivzeit und inhaltlich besetzten Gedankenräumen aus[zu]blenden, damit der Blick, oder besser das Hören, frei werden, um Gegenwart als Möglichkeit von Übergängen – von Augenblick zu Augenblick – frei fließender Zustände zu erfahren."[8]

Raumdefinition und Komposition durch das 'Musikinstrument' elektronische Mehrkanalklangerzeugung bzw. Signal Routing ist nur ein Weg – vielleicht der Königsweg – zum steuerbaren Klang im Raum. Der einfachere und alltäglichere Weg ist die Raumsimulation bereits im Stereospektrum oder in der standardisierten 5:1 Mehrkanal Kino-/bzw. Videoumgebung. Verzögerungseffekte als Raumsimulationen sind ein Teil der alltäglichen Hörpraxis allein als Folge von Aufzeichnungstechniken ohne Raumreflexionen und durch die 'Raumlosigkeit' direkt im elektronischen Medium erzeugter Klänge, die nachträglich mit künstlichen Hallräumen versehen werden. Nichts klingt 'unnatürlicher' als ein elektronisch erzeugtes Signal ohne Raumreflexionen. Ganz oder teilweise elektronisch erzeugte populäre Musik hat – von Hörern und Wissenschaftlern oft unbemerkt – die differenzierte 'Komposition' von Verzögerungeffekten auf ein hohes Niveau gebracht. Die avancierte Verwendung von Hall und Delay arbeitet sowohl mit nachkonstruierten virtuellen Räumen (algorithmisch per Software), wie auch mit artifiziellen Räumen, die in der Realität nicht vorkommen. Ein aktuelles populäres Beispiel wäre etwa Madonnas zur gleichnamigen James Bond-Produktion erschienenes Stück "Die Another Day". Mit der Perspektive auf der differenzierten Gestaltung von künstlichen Raumebenen läßt sich solch ein 'Post-Produktionskunstwerk' der populären Musik durchaus auch als Hörkunststück rezipieren. Ebenso 'hyperreal' wie manche Verzögerungseffekte sind die Möglichkeiten zur 'virtuellen' Bewegung der Klänge, die bereits aktuelle Surround-Techniken mittels 5:1-kanaligen Anordnungen bieten, so dass sich ohne viel Phantasie sowohl Rauminstallationen in einer neuen häuslichen Rezeptionssituation vorstellen lassen wie auch die Verwendung solcher Consumertechnologien in Klangraumkonzepten der elektroakustischen Kunst.

Einen Gegenpol zu den bisher vorgestellten Konzepten auch und gerade in der Verwendung von Reproduktionsmedien repräsentiert die Installation "33 1/3" (1969) von John Cage. Sie steht für eine radikale Öffnung der situativen Parameter einer Klanginstallation, wie auch für einen im Resultat kommunikativ-reflexiven Charakter der Mediennutzung. 12 Plattenspieler stehen zur freien Nutzung von 100 Schallplatten, deren Etiketten überklebt sind, im Raum verteilt zur Verfügung. Die in diesem Setting zu Akteuren verwandelten Besucher sind für die Klangerzeugung mittels Reproduktionsmedien selbst zuständig.

In bester Duchampscher Tradition werden hier gleich mehrere konventionalisierte Erwartungen des Rezipienten durchbrochen: Reproduktionsmedien werden Produktionsmedien, die innere Einheit und Logik einer Gestalt auf der Klangebene scheint zu fehlen, eine passiv rezeptive Haltung ist durch eine aktive Rolle der rezipierenden Produktion zu ersetzen. Gleichzeitig wird jeder Versuch einer zielgerichteten Selektion 'passender' Klänge durch die verdeckten Etiketten verhindert. Eine Installation mit wiederum 'nachgeholfenen' Medien-Ready-Mades also, die den ästhetischen Ansatz Duchamps in die Medienwelt transformiert. Nicht eine fest umrissene Klangstruktur oder Raumwahrnehmung ist das Ziel der Installation, sondern die Situation der handelnden Personen selbst. Aus der Rezipientensicht ergibt sich ein offenes Feld situativer Optionen und Irritationen, das Rezeptions- und Kommunikationsräume erschließt. Die Interaktion von Akteuren und technischen Apparaten bleibt zwar vom Rezipienten aus selbstbestimmt und intentional, geht jedoch in der nicht-intentionalen Gestalt des Gesamtklangs auf. Auch die sonst so bedeutende Raumbeschaffenheit tritt hinter das Ziel der Organisation der kommunikativen Situation zurück.

"33 1/3" , John Cage

Bild 7: "33 1/3" , John Cage

Damit sind wir beim letzten – und vielleicht auch aktuellsten – Teilthema: der Interaktion von Mensch, Klang und Raum mittels elektronischen und digitalen Medienmaschinen. Die Erzeugung und zum Teil auch Positionierung der Klänge wird mittels einer Sensorik mit den Bewegungen des Rezipienten verknüpft. Anders als in der Happening-Tradition des Unerwarteten, die bei "33 1/3" durchscheint, ist diese Verkoppelung intentional und gerichtet, sowohl als Intention des ästhetischen Konzepts des Produzenten, wie auch als Intention des Rezipienten, den Klangraum per Bewegung und Gestik zu erkunden und mitzugestalten. Mit seiner Aufführung der "Variations V" (1965) ist Cage einer der ersten, der einfache Sensorsysteme wie Lichtschranken und kapazitative Felder (wie beim Theremin) zur interaktiven Steuerung von Klängen einsetzt. Typischerweise ist es der Bühnenraum einer Tanzperformance, hier für die Merce Cunningham Dance Company, der solchermaßen 'interaktiv' ausgestattet wird:

"The stage contains two systems of electronic sensors; the first is a set of focused photocells, the second a group of five-foot-high antennae. As the dancers move about the stage they interrupt the light which falls on the photocells. The vertical antennas are capacitance devices which respond to the distance of the dancers from each others, to the proximity of the dancers from the antennas, and to the number of dancers on the stage. The changes of light intensity on the photocells, and the capacitive responses of the antennas are both transmitted as electrical signals to electronic 'trigger' equipment in the orchestra pit."[9]

Tanz als Kunst der Bewegung im Raum gilt bis heute als einer der adäquaten und sicher auch inflationären Anwendungsfälle interaktiver Klang-Raum-Systeme. Einerseits kann so versucht werden, die ästhetische Gestalt des Tanzes in den Klangraum abzubilden, andererseits läßt sich damit der technisch-ästhetischen Konzeption sichtbar und wirksam Ausdruck verleihen. Ein relativ junges und simples Beispiel, das zwar einer völlig anderen ästhetischen Konzeption folgt als die "Variations", aber gerade durch seine Einfachheit einen guten Eindruck des Setups von einem durch Lichtschranken gesteuerten Mix von Audiosignalen gibt, ist die Tanzperformance "Electro Clips" von Christian Möllers und dem Tänzer Stephen Galloway (Ars Electronica 1994). Die bei beleuchteten Sensoren stummgeschalteten Tonspuren eines im Hintergrund ständig laufenden Mehrspur-Systems werden bei Unterbrechung des Lichtstrahls aktiviert. Der Tänzer kann so je nach Zahl und Position der abgedeckten Sensoren einen selektiven Mix steuern.

"Electro Clips", Christian Möllers / Stephen Galloway, Tanzperformance

Bild 8: "Electro Clips", Christian Möllers / Stephen Galloway, Tanzperformance

Bei Peter Vogels "Minimal Music Klangwand" (1988) befindet sich die – damals noch analoge – Elektronik samt Lichtsensoren und Lautsprechern als skulpturales Element an der Wand, die Rolle des Tänzers übernimmt der Ausstellungsbesucher. Per Beleuchtung wird der Raum vor der Installation zum Sensorfeld, die Wand wird im instrumentalen Sinn bespielbar.

Die bislang technisch und konzeptionell avancierteste Stufe interaktiver Mensch-Maschine-Umgebungen stellt die hybride Parallelkonstruktion von realem Raum und digitalem Datenraum dar. Die von der Sensorik im realen Raum aufgenommenen Daten werden einem entsprechenden Datenmodell im Computer zugeordnet. Einfachstes Beispiel im zweidimensionalen Raum wäre die Computermaus, die sich gleichzeitig real auf dem Mousepad und 'virtuell' im Datenraum der Desktopoberfläche bewegt. Wird nun der Desktop-Fläche ein 2D-Klangdatenraum zugeordnet, (also eine Klangsteuerungsfläche,) so erhält man eine Mousepad- bzw. Desktop-Klanginstallation.[10] Jede Mausbewegung, Mausklicks etc. erzeugen dann entsprechende Klänge.

"Minimal Music Klangwand", Peter Vogel

Bild 9: "Minimal Music Klangwand", Peter Vogel

In einer Ausstellung bewegt sich der Rezipient (der Begriff passt hier kaum noch) in einer Parallelwelt aus räumlich angeordneten Klängen, Bildern, Animationen usw.. Neben dem realen und dem imaginären Raum entsteht ein technisch-virtueller Raum, in dem sich ein Teil der ästhetischen Konzeption des Werks als algorithmisches Kalkül präzise abbildet. Die virtuelle, 'bespielbare' Welt ähnelt nur noch entfernt den Schatteninstrumenten der Lichtschrankenapparate, sie ist ungleich mächtiger.

Die Installation "Simulations-Mosaik mobiler Datenklänge" der Gruppe Knowbotic Research (zuerst realisiert bei der Mediale Hamburg 1993) läßt den Besucher eine virtuelle Realität aus visuellen und akustischen Ereignissen erfahren, während er sich im realen Raum bewegt. Die Zweiteilung der Welten zeigt sich auch im Interface: ein Auge wird mit dem "Private Eye", einem Mini-Bildschirm ausgestattet, ein Ohr mit einem Ohrhörer versehen, der Rest der Wahrnehmung verbleibt im realen Raum. Die entstehende augmented reality, eine erweiterte Realität, bricht auf andere Weise als bei Duchamp mit den Erwartungen und Gewohnheiten des Rezipienten. Die Wahrnehmung, Orientierung und Mitgestaltung in dieser neuen Mitrealität hebt sich von all dem ab, was wir von Werkzeugen, Instrumenten und technischen Medien gewohnt sind. Diese 'Extension of Man' erzeugt eine neue Art von Immersion in den Raum, die besonders eindrucksvoll ist, wenn auf tragbare Interfaces verzichtet werden kann.

David Rokebys "Very Nervous System" (seit 1986) arbeitet mit parallelen Klangdatenräumen, die durch Bewegung in einem von Videokameras beobachteten Raum gestaltet werden können. Rokeby beschreibt die Wirkung des Systems folgendermaßen: "Das Selbst expandiert (und verliert sich), bis es das Environment der Installation ausfüllt – und implizit die ganze Welt. Nach 15 Minuten fühlen die Leute häufig eine Nachwirkung der Erfahrung, fühlen sich direkt eingebunden in die zufälligen Geschehnisse der Straße. Dleses unerwartete Gefühl einer fast schon spirituellen Begegnung hat einen großen Teil der ursprünglichen Entwicklung der Installation bestimmt, aber es ist nur ein Aspekt der Arbeit."[11] Eine Beobachtung, die der Besucher der Installation nur bestätigen kann. Tatsächlich entsteht dort eine neue hybride Realität, welche die (klanglichen) Gegenstände im Augenblick ihrer Wahrnehmung zu erschaffen scheint, ein Zustand, der nach Immanuel Kant einem göttlichen Wesen vorbehalten bleibt. Ob und inwieweit es sich hier um ästhetische Erfahrung handelt, ist noch zu klären.[12] Solche ausgearbeiteten Parallelwelten erfordern eine ebenso avancierte ästhetische Konzeption, was leider, betrachtet man ästhetische Experimente der Virtual-Reality-Szene, noch keineswegs selbstverständlich ist. Eventuell entwickelt sich hier ein ästhetisches Szenario, das wiederum Kunstgattungen auflöst und das aktuelle Entwicklungen der Unterhaltungswelt wie etwa Computergames oder kommerzielle Präsentationstechniken einbezieht.

Funktionsprinzip des "Very Nervous System", David Rokeby

Bild 9: Funktionsprinzip des "Very Nervous System", David Rokeby

Datenräume als Vehikel für hybride Welten ästhetischer Erfahrung sind in jedem Fall als Reflexionsmedien des gesellschaftlichen bzw. technikkulturellen Wandels ein wichtiger Bestandteil der künstlerischen Agenda der Gegenwart. Sie vermitteln u.a. eine neue, ästhetische Wahrnehmung der in unserer Informationswelt ständig ablaufenden Daten-Prozesse jenseits der üblicherweise erfahrbaren Realität und Zweckorientierung, zu denken wäre etwa an die Datenströme der Verwaltungen, der Finanzwelt, der Informationsnetze, der Telekommunikation etc..

"Ich meine, das ist nicht so banal, wie es jetzt klingt, sondern das formt neue Menschen" formulierte Kh. Stockhausen 1972 und meinte die Klangräume der Quadrophonie.[13] In der Tat ist die technikkulturelle Veränderung von Wahrnehmung und subjektiver Wirklichkeit durch den Wandel der elektronischen Medien kaum zu unterschätzen. Ganz in diesem Sinne kann und sollte die Gegenwart und Zukunft von Klanginstallationen, ganz gleich mit welchen technischen Umgebungen auch immer, gedacht werden.

[1] Zur - entgegengesetzten - Sicht des Radios auf die Klanginstallation s.a. Hans Burkhard Schlichting

[2] Helga de la Motte-Haber, Musik und Bildende Kunst. Laaber 1990, S. 298.

[3] S. dazu auch Wolfram Ette, Thesen zu Musik, Technik, Raum. In: Musik - Ästhetik. Dezember 2002, S. 60-67.

[4] Robin Minard, Werkdarstellung, enthalten auf der CD-ROM: 'Klangkunst in Deutschland' CD-ROM Dokumentationsreihe der DEGEM - 01, Schott/Wergo Mainz 2000.

[5] Zweckentfremdete Lichttechnik dient dabei einer audio-visuellen Rauminszenierung. Tilman Küntzel hat dieses Konzept zum Erlanger Hörkunstfestival 2003 den Gegebenheiten im öffentlichen Durchgang Markgrafentheater angepaßt. Leider wurde ihm aus Sicherheitsgründen nicht gestattet, seine unter Verwendung der dort ohnehin vorhandenen Leuchtröhren ästhetisch schlüssigere Planung umzusetzen, so dass eigens weitere Leuchtröhren an den Säulen des Durchgang angebracht wurden.

[6] Karlheinz Stockhausen, Vier Kriterien der Elektronischen Musik. In: Stockhausen, Karlheinz (Hg.): Texte zur Musik 1970-1977. Köln 1978 (Vortragstranskription, gehalten 1972), S. 381.

[7] Ebd..

[8] Sabine Schäfer, Werkdarstellung der Projektreihe "SonicRooms", enthalten auf der CD-ROM: 'Klangkunst in Deutschland' CD-ROM Dokumentationsreihe der DEGEM - 01, Schott/Wergo Mainz 2000.

[9] Gordon Mumma, zitiert nach Michael Nyman, experimental music. Cage and beyond. London 1974, S. 82.

[10] Solche 'Mausmusiken' haben eine lange Tradition (z.B. Laurie Spiegels "Music Mouse", 1986). Sie werden heute u.a. als kompositorisches Spiel, für Programmierexperimente und Interfaceübungen genutzt. S.a. unser Programm "Desk(Top)Music"

[11] David Rokeby, In: Leopoldseder, Hannes (Hg.), Der Prix Ars Electronica. (Katalog) Linz 1991, S. 132.

[12] S. dazu auch Söke Dinkla, Pioniere Interaktiver Kunst. Von 1970 bis heute. Karlsruhe 1997.

[13] Karlheinz Stockhausen, aaO., S. 384.

Bildnachweis:

Bild 1: "A bruit secret", Marcel Duchamp; Katalog der Ausstellung "Klangskulpturen - Augenmusik. Grenzgänge zwischen Musik und Plastik", Ludwig Museum im Deutschherrenhaus Koblenz 1995, hg. v. Daniéle Perrier, S. 77.

Bild 2: "Silent Music", Robin Minard; CD-ROM: 'Klangkunst in Deutschland', CD-ROM Dokumentationsreihe der DEGEM - 01, Schott/Wergo Mainz 2000.

Bild 3: "AZUR", Christina Kubisch; Katalog "Projekt KUNST-LANDSCHAFT 1967-2000" des Kunstvereins Springhornhof Neuenkirchen 2001, S. 150.

Bild 4: Lautsprecheranordnung für "Spiral", Kh. Stockhausen; aus der Partitur (Universal Edition 1973).

Bild 5:"Tunnel Spiral", Kh. Stockhausen; aus "Texte zur Musik: 1963-1970", Köln 1971.

Bild 6: "Klangzelt" aus der Projektreihe "Sonic Rooms", Sabine Schäfer/Joachim Krebs; CD-ROM: 'Klangkunst in Deutschland', aaO.

Bild 7: "33 1/3" , John Cage; Katalog der Ausstellung "Klangskulpturen - Augenmusik. Grenzgänge zwischen Musik und Plastik", aaO., S. 64.

Bild 8: "Electro Clips", Christian Möllers / Stephen Galloway, Tanzperformance; Screen Shot aus der Videodokumentation der Ars Electronica 1994 des ORF.

Bild 9: "Minimal Music Klangwand", Peter Vogel; Screenshot aus der Videodokumentation des Verfassers von der Interface II, Hamburg 1993.

Bild 10: Funktionsprinzip des "Very Nervous System", David Rokeby; in: Eisenbeis, M./Hagebölling, H., Synthesis. Die visuellen Künste in der elektronischen Kultur. Dokumentation der Beiträge zum UNESCO-Seminar 1987 an der HfG Offenbach a.M., 1989, S. 290.

Quelle: http://www.glizz.net/artikel/artikel_34.php