Zur Öffentlichkeit des Cyberspace

Christian Steininger, 26.04.02

1. Cyberspace als öffentlicher Meinungsmarkt

Der Begriff Cyberspace hat eine Vielzahl von Bedeutungen, die seine wissenschaftliche Verwendung erschweren. Der Sciencefiction-Literatur entstammend, bezeichnet er Formen der virtuellen Realität. Das Adjektiv 'virtuell' ist zumeist mit der Konnotation 'irreal' besetzt. Denn hinter dem Bildschirm tauche man in eine künstliche Welt, den sogenannten Cyberspace, der unisono das Internet als auch den 'grenzenlosen' Informationsraum Internet bezeichnet. Die normativen Zuschreibungen in Bezug auf den Cyberspace haben eine Geschichte, die untrennbar mit den 'alten Medien' und ihren attributiv ergänzten Öffentlichkeiten (von aktiv bis zerstört) verbunden ist. Letztlich wird Cyberspace doch wieder als Demokratie generierender öffentlicher Meinungsmarkt identifiziert, der nun eben durch digitale Medien konstituiert wird. Der Begriff Cyberspace kann aber nur dann heuristisches Potenzial generieren, wenn man ihn als Resultat eines gesellschaftlichen Problembewusstseins begreift.

Denn: Auch der Begriff Cyberspace hat die Funktion, faktische Ereignisse oder Verläufe zu erklären, er dient der Fixierung von Problemlösungen als institutionelle Errungenschaften. Seine Problematik besteht darin, dass die ihm zugrundeliegenden Problematiken ungeklärt, oft ungenannt bleiben (vgl. Luhmann 1979). Für die Theorienbildung hat das fatale Folgen, bestehen Theorien doch aus Definitionen, die Begriffe klären müssen, und Hypothesen (Herkner 1991, 22). Es gilt schon mit der Begriffsbildung zu sichern, dass Öffentlichkeit theoretisch und empirisch bearbeitet werden kann, und so nicht als Spekulationsobjekt für gesellschaftspolitische Absichten missbraucht werden kann (Gerhards/Neidhardt 1990, 15). Dazu ist es notwendig, zumindest einen vorläufigen Begriff von Öffentlichkeit zu entwickeln. Dass man mit den bisherigen theoretischen Konzeptionen von Öffentlichkeit Probleme hat, neue Medien zu fassen, liegt nicht an den neuen Medien sondern an den Unzulänglichkeiten des Medienbegriffs sowie des Öffentlichkeitsbegriffs und den jeweils damit verbundenen partikulären Funktionszuschreibungen. Nach Häner (1990) handelt es sich beim Begriff Öffentlichkeit um einen äußerst abstrakten und damit ausfüllungsbedürftigen Begriff, der trotz der gesellschaftlichen Nutzung und der politischen Wertigkeit wenig zur Erhellung des Gegenstandes, den er bezeichnet, beiträgt. Trotzdem soll hier davon ausgegangen werden, dass es nicht nur eine Rhetorik über Öffentlichkeit sondern Öffentlichkeit auch als empirischen Gegenstand gibt.

2. Öffentlichkeit als kommunikationswissenschaftliches Phänomen

Unbestritten besitzt das Wissen um das Phänomen Öffentlichkeit in der Kommunikationswissenschaft eine lange Tradition, insbesondere wenn man (im Rahmen fachlicher Rechtfertigungsbestrebungen) fachimperialistisch auch andere Disziplinen mit einbezieht. Die tatsächliche Beschäftigung mit Öffentlichkeit kann auf eine solch lange Tradition nicht zurückblicken, wurden doch vor allem öffentliche Meinung und Verständigung, die Erzeugung öffentlichen Bewusstseins sowie Sphären offen gelegten staatlichen Handelns in den Fokus der Betrachtung gerückt (Hickethier 2000, 4f.). Nur am Rande hat sich die Kommunikationswissenschaft damit beschäftigt, den Öffentlichkeitsbegriff theoretisch zu fassen. Gerne aber greift sie auf soziologische und politologische Entwürfe zurück.

"Das ist angesichts der semantischen Nähe von Öffentlichkeit und Publizität und der [...] funktionalen Nähe von Öffentlichkeit und Massenmedien, Journalismus, Public Relations, zunächst erstaunlich."
(Klaus 1998, 132)

Manfred Rühl würde dieser Befund schon weniger erstaunen, konstatierte er doch schon 1993, dass die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft tendenziell dazu neigt, die theoretische Bearbeitung vieler Phänomene (etwa Geld, Markt, Recht, Bedürfnis und Organisation) an andere Disziplinen zu delegieren. Ihre Hauptaufgabe sieht sie darin, die 'richtigen Auskünfte, Argumente, Einsichten und Erkenntnisse', 'in den Bau der Publizistik einzupassen'. Diese Haltung erschwert die Entwicklung einer publizistik- und kommunikationswissenschaftlichen Grundlagenforschung, denn andere Disziplinen sehen sich auch anderen Methoden und Theorien verpflichtet.

"Soll es in der publizistischen Theorienbildung zur Interdisziplinarität und zur Kompatibilität der Begriffe, Theorien und Methoden und Forschungstechniken kommen, dann sind metatheoretisch gesteuerte Aufräumarbeiten und Aufbauarbeiten zu leisten."
(Rühl 1993, 102)

Ungeachtet der metatheoretischen Implikationen hatte und hat dieses Wissenschaftsverständnis auch für die Entwicklung eines eigenständigen Öffentlichkeitskonstruktes Folgen. Fraglich ist die Kausalitätsrichtung dieser Folgeentwicklung. Westerbarkey (1994, 53) geht davon aus, dass das Fehlen einer 'anspruchsvollen' Kommunikationstheorie, die Öffentlichkeit erklären könnte, an diesem unbefriedigenden Umstand schuld ist. An dieser Stelle soll aber nicht der Gedanke verworfen werden, dass umgekehrt das Fehlen einer anspruchsvollen Öffentlichkeitstheorie (und der damit verbundenen Implikationen - etwa die weitgehende Ausblendung der Medien) das Fehlen einer 'anspruchsvollen' Kommunikationstheorie verhindert hat. Die Negierung des Öffentlichkeitsbegriffes erklärt sich jedoch auch durch das bewusst unhinterfragte Einpassen des Begriffs Markt in den 'Bau der Publizistik'. Versuche, Öffentlichkeit kritisch zu reflektieren, hatten in den 80er und 90er Jahren des letzten Jahrhunderts wenig Raum.

"Hatte die kritische Debatte der Medien in den sechziger Jahren sich emphatisch auf eine aufklärerische Funktion von Öffentlichkeit bezogen [...] und von dieser Position aus die Medienöffentlichkeit als zu einem Marktgeschehen ökonomisiert kritisiert, so führte gerade diese kritische Einführung des Marktbegriffs in den Medientheorien dazu, daß sukzessive der Öffentlichkeitsbegriff durch den Begriff des Marktes ersetzt wurde und dieser nach und nach seiner negativen Konnotation entkleidet und schließlich in den neunziger Jahren positiv aufgewertet wurde."
(Hickethier 2000, 8)

Da Öffentlichkeit in der Topographie der Gesellschaft im Vorhof zur Macht platziert sei, wäre sie auch ein umkämpftes Gebiet. Insofern übernehme Öffentlichkeit "ähnliche Funktionen wie der Markt für die Wirtschaft" (Gerhards/Neidhardt 1990, 11). Die publizistik- und kommunikationswissenschaftliche Grundlagenforschung dominierende Systemtheorie sitzt bislang vor der 'harten Nuß' Öffentlichkeit und hat Angst um ihre Zähne.

"Ein 'besonderes soziales System (Öffentlichkeitssystem)' stelle die publizistische Öffentlichkeit nicht dar [...]. Die Anwendbarkeit der Systemtheorie auf Öffentlichkeit wird bestritten [...] oder es werden integrative, beispielsweise systemtheoretische und akteurstheoretische Sichten verbindende Ansätze vorgelegt."
(Liebert 1999, 93)

Heute wankt der geneigte Leser von einer arbiträren Begriffsmanifestation zur nächsten. Dieser Umstand erzeugt oftmals Zufriedenheit mit den einfachen Antworten: Öffentlichkeit bleibt so ein allgemeines Ideal, gleichgesetzt mit Publizität oder Markt, der "im Terminus der 'öffentlichen Meinung' diffus bleibt." (Hickethier 2000, 4f.) Die Vielfalt dieser Konzepte, die Beliebigkeit der Bedeutungen, verdeckt oftmals den 'eklatanten Mangel an Theorie' (Westerbarkey 1991, 13f.). Die Kommunikationswissenschaft hat es Habermas nie verziehen, dass sie selbst mit seinem Strukturwandel der Öffentlichkeit einen Grundbegriff der Kommunikationswissenschaft importiert hat, dessen sie - obwohl normativ und faktisch von hoher Bedeutung (Liebert 1999, 93) - vordergründig gar nicht bedurfte, zumal er Unzulänglichkeiten der Disziplin aufdeckte. Denn schließlich mangelt es ihr "an einer anspruchsvollen Theorie massenmedialer bzw. öffentlicher Kommunikation. In der Regel schreibt man den Massenmedien oder der Medienöffentlichkeit eine Reihe beliebig variierbarer und zum Teil gegensätzlicher Aufgaben, Leistungen und Wirkungen zu."
(Hug 1997, 17)

3. Fazit

Wissenschaftsstrategisch können zwei Herangehensweisen unterschieden werden, um die Kommunikationswissenschaft aus ihrem 'Bau' zu locken: Das passive Setzen auf den Leidensdruck, der mit den noch ausstehenden Erklärungen der in dieser Disziplin als zentral begriffenen Phänomene einhergeht, scheint wenig erfolgsversprechend. Oder aber die Forderung, Öffentlichkeit als genuinen Forschungsgegenstand der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zu begreifen, der die Entwicklung einer Makrotheorie ermöglicht, "mit der sie ihre zentralen Begriffe und Theorien neu systematisieren und integrieren kann." (Kohring/Hug 1997, 31)

Folgende Erkenntnisse lassen sich aus dem bisherigen kommunikationswissenschaftlichen Forschungsdiskurs ableiten, die auch für den Cyberspacediskurs relevant sind:

(a) Die Kommiunkationswissenschaft muss sich eine Tendenz zu Theorien mittlerer Reichweite nachsagen lassen. Dies führt dazu, dass sich das Fach bislang keine befriedigende Antwort darauf geben kann, wo die Grenzen seines Zuständigkeitsbereichs verlaufen:
"Als zentral angesehene Begriffe wie Massenkommunikation, Massenmedien, Journalismus, Öffentlichkeit, öffentliche Meinung und Public Relations stehen alle nach wie vor relativ unvermittelt nebeneinander und sind nicht eindeutig aufeinander bezogen." (ebd., 15)

(b) Die 'neobehavioristisch bestimmte' empirische Publizistik- und Kommunikationsforschung übersieht, "daß die Gewinnung beobachtbarer Daten, hier: über Kommunikation und Öffentlichkeit, sehr komplexe soziale, sachliche und zeitliche Prozesse der Beobachtung und der Erfahrung in den Blick nehmen muß" (Rühl 1993, 88).

(c) Öffentlichkeit ist heute nicht mehr ohne Medien zu denken. Dieser Einsicht folgen sowohl publizistikwissenschaftliche als auch soziologische Theorieentwürfe. Aber wie das Verhältnis von Öffentlichkeit und Medien zu bestimmen sei, darüber gibt es keine Einigkeit (Weßler 1999, 23). Letztlich bleibt die Generierung eines Verständnisses bezüglich der kulturellen Entwicklung der Medien notwendige Bedingung für das Verständnis von Öffentlichkeit und die Aufarbeitung ahistorischer Cyberspace-Manifestationen, die sich durch eine liberal-elitäre Grundtendenz auszeichnen.

Gerhards, Jürgen, Friedhelm Neidhardt: Strukturen und Funktionen moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. FS III 90-101. Berlin 1990

Görke, Alexander: Risikojournalismus und Risikogesellschaft. Sondierung und Theorieentwurf. Westdeutscher Verlag. Opladen 1999.
Häner, Isabelle: Öffentlichkeit und Verwaltung. unveröff. Diss. Universität Zürich 1990.

Herkner, Werner: Lehrbuch Sozialpsychologie. Verlag Hans Huber. Bern 1991.

Hickethier, Knut: Veränderungen von Öffentlichkeiten. unveröff. Forschungsbericht. Hamburg 2000.

Hug, Detlef Matthias: Konflikte und Öffentlichkeit. Zur Rolle des Journalismus in sozialen Konflikten. Westdeutscher Verlag. Opladen 1997.

Klaus, Elisabeth: Öffentlichkeit als gesellschaftlicher Selbstverständigungsprozeß. In: Imhof, Kurt, Peter Schulz (Hrsg.): Kommunikation und Revolution. Seismo. Zürich 1998, S. 131-147.

Kohring, Matthias, Detlef Matthias Hug: Öffentlichkeit und Journalismus. In: Medien Journal (1997) H. 1, S. 15-35.

Liebert, Tobias: Historische Phasen und Typen von Öffentlichkeit und die Entwicklung von Öffentlichkeitsarbeit. Entwurf eines Modells. In: Szyszka, Peter (Hrsg.): Öffentlichkeit. Diskurs zu einem Schlüsselbegriff der Organisationskommunikation. Westdeutscher Verlag. Opladen 1999, S. 91-112.

Luhmann, Niklas: Öffentliche Meinung. In: Langenbucher, Wolfgang R. (Hrsg.): Politik und Kommunikation. Über die öffentliche Meinungsbildung. Piper. München 1979, S. 29-61.

Rühl, Manfred: Kommunikation und Öffentlichkeit. In: Bentele, Günter, Manfred Rühl (Hrsg.): Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder. Positionen. Perspektiven. Ölschläger. München 1993, S. 77-102.

Westerbarkey, Joachim: Das Geheimnis. Zur funktionalen Ambivalenz von Kommunikationsstrukturen. Westdeutscher Verlag. Opladen 1991.

Westerbarkey, Joachim: Öffentlichkeit als Funktion und Vorstellung. Versuch, eine Alltagskategorie kommunikationstheoretisch zu rehabilitieren. In: Wunden, Wolfgang (Hrsg.): Öffentlichkeit und Kommunikationskultur. Beiträge zur Medienethik. Bd. 2. Steinkopf Verlag. Hamburg 1994, S. 53-64.

Weßler, Hartmut: Öffentlichkeit als Prozeß. Deutungsstrukturen und Deutungswandel in der deutschen Drogenberichterstattung. Westdeutscher Verlag. Opladen 1999.

Quelle: http://www.glizz.net/artikel/artikel_11.php